Wunsch (EZB) gegen Vorabfestlegung auf bestimmten Zinskurs

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Frankfurt (Reuters) - Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch lehnt es angesichts bestehender Unsicherheiten ab, sich auf einen bestimmten Zinskurs im Euroraum festzulegen.

Stattdessen müsse weiter datenabhängig vorgegangen werden, sagte das Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Frankfurt. "Jetzt ist nicht die Zeit, um sich auf ein vorab bestimmtes Vorgehen festzulegen." Die Zeit für Zinssenkungen hält Wunsch gleichwohl für gekommen. "Es gibt Spielraum für eine Senkung der Zinsen um 50 Basispunkte", sagte er. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann signalisierte unterdessen, dass er mehrere Zinssenkungen im laufenden Jahr erwartet.

Am Geldmarkt wird die Wahrscheinlichkeit eines ersten Schritts nach unten im Juni derzeit mit etwa 85 Prozent taxiert. Bis zum Dezember wird gemessen an den Kursen mit Zinssenkungen im Umfang von rund 0,70 Prozentpunkten gerechnet. Seit September 2023 hält die EZB den am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz bereits auf dem Rekordniveau von 4,00 Prozent. Zu ihrem Zinstreffen am 6. Juni in Frankfurt werden den Währungshütern neue vierteljährliche Konjunktur- und Wirtschaftsprognosen der EZB-Volkswirte vorliegen. Diese gelten als wichtige Entscheidungsgrundlage.

Es bestünden noch erhebliche Risiken hinsichtlich der Entwicklung der Löhne und der Inflation bei den lohnintensiven Dienstleistungen, sagte Wunsch. Zuletzt habe es hier Zeichen einer Abschwächung gegeben. "Alles in allem sehe ich, auch wenn die Aussichten neblig bleiben, einen Weg für die Einleitung von Zinssenkungen in diesem Jahr." Denn die Inflationsprognosen der EZB seien zuletzt zuverlässiger geworden. Zudem werde weiterhin ein Rückgang der Inflation zur Notenbank-Zielmarke von zwei Prozent bis Ende 2025 erwartet. Wunsch zufolge gibt es außerdem keine Anzeichen dafür, dass die längerfristigen Inflationserwartungen aus der Spur liefen.

GEGEN EIGENE ZINSPROGNOSEN NACH DEM MUSTER DER FED

Kritisch sieht Wunsch den Vorschlag, die EZB solle nach dem Muster der US-Notenbank ihre eigenen Zinsprognosen veröffentlichen. Aus seiner Sicht könnte das zu einer vertieften Kluft zwischen den nördlichen und südlichen Euro-Ländern führen. Denn dann werde versucht, herauszufinden welcher Notenbank-Gouverneur hinter welchem Prognose-Punkt stehe, sagte er. Die Federal Reserve veröffentlicht einmal im Quartal Zinsprognosen ihrer Führungsmitglieder in einer anonymisierten Punkte-Grafik - in der Fachwelt als "Dot Plot" bezeichnet. EZB-Direktorin Isabel Schnabel hatte kürzlich die Idee vorgetragen, eine Art Dot Plot der Prognosen der Euro-Wächter über den künftigen Zinspfad zu veröffentlichen. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann hält diese Idee für diskussionswürdig, wie er unlängst sagte.

Aus Sicht von Holzmann wird es wahrscheinlich nicht bei einer Zinssenkung in diesem Jahr bleiben. Sollte es im Juni so weit sein, würden sicherlich weitere Schritte folgen, sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview dem "Handelsblatt". "Aber ich sehe überhaupt keinen Anlass, dass wir die Leitzinsen zu schnell zu stark senken." Jeder Schritt müsse von den aktuell verfügbaren Daten abhängig gemacht werden. "Im September und Dezember werden uns viele neue Daten und Prognosen vorliegen." Im Juli hingegen kaum, sagte er. Zuletzt hatten sich viele Ratsmitglieder für einen ersten Schritt nach unten im Juni stark gemacht, sollte es bis dahin zu keiner Überraschung kommen.

(Bericht von Frank Siebelt, Francesco Canepa,; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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